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Prof. Dr. Erich Beyer wird 100 Jahre alt

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Prof. Dr. Erich Beyer

Der ehemalige Leiter des Instituts für Sport und Sportwissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie feiert am 18. Juli 2011 seinen 100. Geburtstag. Prof. Dr. Beyer hat während seiner Amtszeit einen bedeutenden Beitrag zum Aufbau und zur Weiterentwicklung der damals noch unter dem Namen ‚Institut für Leibesübungen an der Technischen Hochschule Karlsruhe’ firmierenden Einrichtung geleistet und darüber hinaus große Verdienste für die deutsche und internationale Sportwissenschaft erworben.

Erich Beyer wurde am 18. Juli 1911 – noch in der Kaiserzeit – in Leipzig geboren und machte dort am damaligen Helmholtz-Reform-Realgymnasium sein Abitur. 1932 bis 1936 studierte er in seiner Heimatstadt die Fächer Englisch, Geschichte, Leibesübungen, Philosophie und Pädagogik für das Höhere Lehramt. Insbesondere die Themen Sport, Geschichte und Sprachen begeisterten ihn – sie prägten nachfolgend sein ganzes Leben. So interessierte ihn während seines Geschichtsstudiums insbesondere die Erforschung ausländischer Quellen und er verfasste seine Staatsexamensarbeit in Englisch/Geschichte zum Thema „Die geschichtsphilosophischen Voraussetzungen bei Burke und de Maistre“. Gleichzeitig übte das Reisen schon immer eine große Faszination auf ihn aus. Mit damals äußerst bescheidenen Mitteln verbrachte er 1933 einen dreimonatigen Studienaufenthalt in England.

Nach Abschluss des Studiums gab es für ihn keine Referendarstelle und so musste er in den Jahren 1936 bis 1938 auf eine Wandersportlehrerstelle beim Deutschen Reichsbund für Leibesübungen ausweichen. Dort sammelte er wertvolle Erfahrungen im Schulsport wie auch im Vereinssport. Erst 1938 konnte er in seiner Heimatstadt Leipzig seinen Referendardienst antreten. Seine berufliche Karriere wurde jäh unterbrochen durch den Beginn des Zweiten Weltkrieges, in dem er als Infanterist eingezogen und aufgrund seiner englischen und französischen Sprachkenntnisse als Nachrichtendolmetscher eingesetzt war.

Nach Kriegsende verschlug es ihn nach Bad Soden, wo er eine Anstellung als Gymnasiallehrer erhielt und nebenher amerikanischen Fliegeroffizieren Unterricht in Deutsch und Französisch erteilte. Aufgrund dieser Tätigkeit hatte er Zugang zur amerikanischen Soldatenzeitung „Stars and Stripes“, bei der er sich insbesondere für den Sportteil interessierte. Dieses Interesse schlug sich in seiner damals begonnenen Promotionsarbeit zum Thema „Die amerikanische Sportsprache unter besonderer Berücksichtigung des Baseballspiels und seines Wortschatzes“ nieder, die er 1948 an der Universität Marburg bei Prof. Fischer und Prof. Deutschbein abschloss. Die später publizierte Arbeit wurde 1958 beim Carl-Diem-Wettbewerb des Deutschen Sportbundes mit einer lobenden Anerkennung ausgezeichnet. 1951 war Beyer als Sportlehrer an der Prince Henry’s Grammar School in Evesham (Worcs) / England tätig. Hier erhielt er direkte Einblicke in das englische Schulsystem und in die Inhalte und Organisation des englischen Schulsports – ein erneuter Anreiz für ihn, sich mit dem Erziehungswesen und insbesondere dem Sport sowohl in industriellen Gesellschaften als auch in Entwicklungsländern aus zeitgenössischer und historischer Sicht auseinanderzusetzen und diese bei seinen Auslandsreisen und diversen sportpädagogischen und sporthistorischen Symposien im In- und Ausland weiter zu vertiefen.

Anfang der 1950er Jahre setzte Beyer die Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Leipziger Lehrer in der Studienzeit, Prof. Dr. Hermann Altrock, fort, nachdem dieser 1948 das damalige Institut für Leibesübungen an der Universität Frankfurt am Main als Direktor übernommen hatte. 1954 trat er in dessen Fußstapfen, als er Nachfolger im Amt des Vorsitzenden des Hessischen Turn-, Sport- und Gymnastiklehrerverbandes wurde. Von da an hat ihn die Arbeit in verschiedenen Sportorganisationen nicht mehr losgelassen, u.a. wurde er 1960 Vizepräsident im Bund Deutscher Leibeserzieher.

1962 führte Erich Beyer sein beruflicher Lebensweg nach Karlsruhe: er wurde als Direktor mit der Leitung des damaligen Instituts für Leibesübungen der Technischen Hochschule Karlsruhe betraut. Er führte dieses Institut bis zu seinem Ruhestand im Jahr 1976. In seine Amtszeit fielen in der Anfangsphase (1965) der Bau eines Kleinstadions sowie eines zusätzlichen Rasen- und Hartplatzes. 1974 wurde Beyer von der Fakultät zum apl. Professor ernannt und ging somit als erster Professor für Sport in die Geschichte der Universität Karlsruhe ein. Ebenfalls 1974 erfolgte die Eingliederung des Instituts für Leibesübungen in die Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften an der Universität Karlsruhe. Dies war die Voraussetzung für die Zulassung wissenschaftlicher Arbeiten in Form von Magisterprüfungen, Promotionen und Habilitationen – ein Meilenstein und lang ersehnter Lohn seiner ausdauernden Bemühungen um die Anerkennung des Faches Sport als wissenschaftliche Disziplin an der Universität Karlsruhe. 1975 wurde das Institut für Leibesübungen umbenannt in Institut für Sport und Sportwissenschaft. Damit wurde der bundesweiten Entwicklung der Sportwissenschaft als eigenständige universitäre Fachdisziplin auch in Karlsruhe Rechnung getragen. Nach langjährigen Verhandlungen konnte 1974 endlich auch mit den Bauarbeiten für den Neubau des Institutsgebäudes begonnen werden – am 12. Dezember 1975 war Richtfest, fertig gestellt wurde das Gebäude 1978. Der Umzug aus dem mittlerweile denkmalgeschützten alten Tribünenbau auf dem Campus der Universität erfolgte unter dem Nachfolger von Prof. Beyer, dem inzwischen neu ernannten Institutsleiter Prof. Dr. Georg Kenntner. Die festliche Einweihung des Neubaus durch die Landesregierung fand 1980 statt. Dem Karlsruher Institut ist Erich Beyer stets eng verbunden geblieben. So hielt er auch viele Jahre nach seinem Ruhestand noch Vorlesungen zur Sportgeschichte ab und nutzte die Sporteinrichtungen der Hochschule bis ins hohe Alter, um sportlich aktiv und fit zu bleiben.

Über seine Karlsruher Wirkungsstätte hinaus setzte sich Beyer mit ganzer Kraft für die Belange der damaligen Institute für Leibesübungen an den Hochschulen in Deutschland ein. So hatte er von 1965 bis 1969 den Vorsitz in der Arbeitsgemeinschaft der Direktoren der Institute für Leibesübungen in der Bundesrepublik Deutschland (AID) inne. Sein Ziel war es, die Anfangserfolge zur Erstellung einheitlicher Studien- und Prüfungsordnungen in allen Bundesländern sowie den Ausbau des achtsemestrigen universitären Lehramtsstudienganges mit dem Hauptfach Leibesübungen bzw. Sport zu sichern. Zudem galt es, die Anstrengungen um die Anerkennung des Faches „Theorie der Leibesübungen“ als wissenschaftliche Disziplin an den deutschen Universitäten fortzusetzen. Der AID musste sich in diesen Jahren außerdem mit immer lauter werdenden Forderungen der Studierenden nach strukturellen Veränderungen an den Instituten für Leibesübungen auseinandersetzen: beispielsweise mit dem Anspruch auf drittelparitätische Besetzung der Entscheidungsgremien. Ein eigener Arbeitskreis „Neustrukturierung der Institute für Leibesübungen“ wurde auf Initiative von Erich Beyer gegründet, der sich mit dem Problem der Eingliederung der Institute für Leibesübungen in die universitären Fakultäten befassen sollte. Dies bedeuteten Jahre intensiver Anstrengungen und Belastungen. Im Frühjahr 1969 hatte Beyer schließlich den Vorsitz in der AID abgegeben und die AID hatte sich im selben Jahr aufgrund des großen Drucks zeitbedingter Kritik aufgelöst. Die daraufhin gegründete Arbeitsgemeinschaft Sportwissenschaftliche Hochschuleinrichtungen hat – nebenbei bemerkt – nicht lange überlebt. 1969 wurde Beyer Präsident im damaligen Ausschuss Deutscher Leibeserzieher (ADL), der als Vorgänger der heutigen Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft gelten kann. Seit 1965 war er für den ADL bereits als Redaktionsleiter der ersten wissenschaftlichen Buchreihe „Beiträge zur Lehre und Forschung der Leibeserziehung“, ab 1976 unter dem neuen Titel „Beiträge zur Lehre und Forschung des Sports“ tätig, die bis heute fortgeführt wird und deren Qualität er in den Anfangsjahren maßgeblich mitbestimmt hat. Bis 1975 zeichnete er zudem für die Reihe „Theorie der Leibeserziehung. Texte – Quellen – Dokumente“ verantwortlich, die heute unter dem Titel „Texte – Quellen – Dokumente zur Sportwissenschaft“ firmiert. 1971 übernahm Beyer zusätzlich den Vorsitz des von ihm gegründeten Ausschusses für Auslandsarbeit des ADL, den er bis 1987 inne hatte. Ziel dieses Ausschusses war es, die internationale Zusammenarbeit mit Instituten und Organisationen für Leibeserziehung und Sportwissenschaft zu fördern. So hat er auch in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Peter Röthig 1975 das 1. Internationale Symposium für Sportpädagogik des ADL mit 70 Sportpädagogen aus 17 Ländern am Institut für Leibesübungen in Karlsruhe organisiert.

Die internationale Zusammenarbeit auf den Gebieten der Sportpädagogik und Sportgeschichte lag Beyer besonders am Herzen. Früh nahm er an Studienreisen nach Holland und Österreich teil. 1963 und 1964 organisierte er selbst zwei Studienreisen mit je 170 Sportlehrerinnen und Sportlehrern in die USA. Anschließend reiste er mit 25 Teilnehmern nach Moskau und Leningrad und knüpfte so internationale Kontakte mit Vertretern der Sportwissenschaft in der damaligen Sowjetunion. 1967 organisierte Beyer das erste deutsch-französische Seminar für Direktoren deutscher und französischer Sportlehrerausbildungsstätten an seinem Karlsruher Institut. Weitere deutsch-französische Seminare und Symposien zur Sportpädagogik und Sportgeschichte unter seiner Leitung folgten. 1972 fand auf seine Anregung und unter seinem Vorsitz eine Konferenz internationaler Verbände für Leibeserziehung und Sportwissenschaft anlässlich der Olympischen Spiele in München statt  – mit beachtlicher Resonanz: 26 führende Vertreter aus 10 internationalen Organisationen für Leibeserziehung und Sportwissenschaft nahmen daran teil. 1973 trat das Nationale Olympische Komitee (NOK) für Deutschland an Beyer heran, ob er mit seinem Karlsruher Institut bereit sei, an Programmen zur Förderung von Sport und Leibeserziehung in Entwicklungsländern mitzuwirken. Diese neue Aufgabe hatte Beyer gern übernommen. Die Zusammenarbeit begann mit dem NOK, erfolgte später zusammen mit der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit mit französisch-sprachigen Lehrgängen in Algerien und Madagaskar, setzte sich fort mit der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung in sportpädagogischen Lehrgängen bzw. Seminaren für afrikanische Experten des Schulsports und mündete in vom Goethe-Institut getragenen Vortragsreisen an nationale Sportinstitute in zahlreichen afrikanischen Ländern. Diese führten Beyer nach Kenia, Tansania, Äthiopien, Zaire, Kamerun, Nigeria, Togo, Elfenbeinküste, Senegal, Tunesien, Algerien und Marokko. Aufgrund seiner internationalen Kontakte wurde er in das Direktorium der „Association Internationale des Ecoles Supérieures d’Education Physique“ (AIESEP) und der „Fédération Internationale d’Education Physique“ (FIEP), in denen er heute noch Ehrenmitglied ist, aufgenommen.

Die Beschäftigung mit didaktisch-methodischen Fragen der Leibeserziehung und des Sports brachte ihm einen weiteren besonderen Verdienst ein. Ausgehend von der Erfahrung, dass Vormachen und Nachmachen beim Lernen in den Leibesübungen und im Sport als methodisches Prinzip eine große Rolle spielt, kam er in den 1960er Jahren auf die Idee, audiovisuelle Hilfsmittel im Turn- und Sportunterricht einzusetzen. Filme erschienen Beyer dabei als besonders geeignete Hilfsmittel. Mit Hilfe von Fachkräften seines Instituts sowie Spitzenturnern des Deutschen Turner-Bundes und japanischen Turnern der Deutschen Sporthochschule Köln erstellte Beyer in Zusammenarbeit mit dem Institut für Wissenschaftlichen Film in Göttingen entsprechende Lehrfilme für das Gerätturnen. Seine Bemühungen um die Einführung audiovisueller Medien in Sportunterricht, Verein und Hochschule führten dazu, dass er seit 1968 ständiger Gast und später auch Präsident der Internationalen Jury für Sportlehrfilme bei den Sportfilmtagen in Oberhausen wurde.

Mit zahlreichen Publikationen hat sich Erich Beyer als Autor, Mitautor und Herausgeber besonders auf dem Gebiet der Sportgeschichte und Sportdokumentation einen Namen gemacht. Bereits 1971 erschien im Reclam Verlag Stuttgart sein umfassender „Reclam Sportführer“. In dem 1962 erschienen Band „Terminologie der Leibeserziehung“, dem ersten Begriffswörterbuch der Leibeserziehung, war er Mitautor. 1973 nahm Beyer eine große Herausforderung an, die seine bedeutendste fachterminologische Arbeit werden sollte: Prof. Dr. Hermann Rieder, damaliger Direktor des Bundesinstituts für Sportwissenschaft und dessen Nachfolger, Prof. Dr. August Kirsch, ermunterten ihn, die Leitung des Projekts zur „Erstellung eines mehrsprachigen Wörterbuchs zur Sportwissenschaft“ zu übernehmen, das weitgehend vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft finanziert wurde. Beyer nahm an, allerdings nicht wissend, dass diese Aufgabe ihn bis zur Fertigstellung der ersten Auflage 14 Jahre später im Jahre 1987 – er war damals 76 Jahre alt – voll in Anspruch nehmen würde. Das „Wörterbuch der Sportwissenschaft. Deutsch-Englisch-Französisch“ entstand in enger Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Peter Röthig und dessen Mitarbeitern, die für das „Sportwissenschaftliche Lexikon“ verantwortlich zeichneten, sowie durch intensive Beratungen mit internationalen Experten. Die Nachfrage nach diesem mehrsprachigen Wörterbuch war enorm: so erschien bereits 1992 die zweite Auflage des Werks und auch die Veröffentlichung der spanischen Version, was die Verbreitung in Mittel- und Südamerika zur Folge hatte. 1993 folgte sogar eine japanische Version. Auf diese Weise leistete Beyer einen großen Beitrag zur internationalen Zusammenarbeit, indem Verständnisschwierigkeiten in der internationalen Fachdiskussion abgebaut werden konnten und der Zugang zu fremdsprachiger Literatur erleichtert wurde. In diesem Zusammenhang ist auch die auf Beyers Anregung hin erstellte viersprachige Broschüre „Informationen zu Sportwissenschaft, Sporterziehung, Sportverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland“ in Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch zu sehen.

Prof. Dr. Erich Beyer genießt nicht nur aufgrund seiner zahlreichen Verdienste und wissenschaftlichen Erfolge ein hohes Ansehen in der Sportwissenschaft. Aufgrund seiner begeisterungsfähigen, liebenswürdigen, weltoffenen und kontaktfreudigen Persönlichkeit und seiner umfassenden Bildung ist er ein vielfach geschätzter Kollege und hat sich in der Sportwissenschaft im In- und Ausland als Wegbereiter große Verdienste erworben.

Das Institut für Sport und Sportwissenschaft sowie das gesamte Karlsruher Institut für Technologie gratulieren Prof. Dr. Erich Beyer sehr herzlich zu seinem besonderen Jubiläum.

 

 

Dr. Michaela Knoll

Geschäftsführerin des Instituts für Sport und Sportwissenschaft
am Karlsruher Institut für Technologie

 

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